In eigener Sache

Vor 40 Jahren erschienen auf einen Schlag die ersten sechs Bände der Edition Passagen mit Büchern von Jacques Derrida, Jean-François Lyotard, Jean Baudrillard, Sarah Kofman und Jean-Luc Nancy. Das plötzliche Erscheinen an der Peripherie der deutschsprachigen Diskurslandschaft kam überraschend und löste heftige Reaktionen aus. Vom westlichen Marxismus dominierte Medien verunglimpften den geballten Auftritt der zeitgenössischen französischen Philosophie als Angriff auf ihre Vormachtstellung im gesellschaftskritischen Diskursraum der Bundesrepublik, ganz nach den Vorgaben ihres Wortführers Jürgen H­abermas. Tatsächlich beschäftige sich das erste Editorial der Edition Passagen auch explizit mit der Blockadepolitik der Vertreter des westlichen Marxismus und positionierte die Edition als Projekt gegen deren Alleinvertretungsanspruch für kritisches Denken. In einer obskuren Verdrehung der Tatsachen wurden die französischen Autoren als rechts diffamiert, eine Strategie, die bekanntlich Schule machte. Wenn die Autoren der ersten Lieferung der Edition Passagen politisch qualifiziert werden sollten, dann als Philosophen, die in der Tradition Adornos bei der Dialektik der Auf­klärung ansetzten und neue Wege für ein aufklärerisches gesellschaftskritisches Denken nach Auschwitz suchten, keinesfalls aber als rechte Vordenker. Es gab jedoch auch andere Reaktionen. Denn die Nachricht von einer Generation französischer Autoren, die einen neuartigen philosophischen Diskurs entwickelt hatten, war trotz der Sprachbarriere längst auch in die deutschen Hörsäle vorgedrungen. Informationen über die neue französische Philosophie drangen über den Umweg englischsprachiger Übersetzungen nach Deutschland. Und in Berlin gab es den Merve Verlag, der eine Reihe kleinerer Texte in seinem Programm hatte, die die Neugier auf diese aufregenden französischen Autoren weckte. Was fehlte, war ein Editionsprojekt, das sich explizit die Aufgabe stellte, das neue französische Denken in seiner Breite und Tiefe den deutschsprachigen Lesern zur Verfügung zu stellen. Diese Aufgabe stellte sich die Edition Passagen. Das Terrain für ein Projekt, das sich nicht scheute, auch die schwierigen und oft umfangreichen philo­sophischen Texte zu übersetzen, war durch das Programm des Merve Verlages und unabhängige Journalisten, wie Jürg Altwegg, die sich in Frankreich auskannten, bereitet. Normalerweise verschwindet ein Verlagsprojekt, das nicht von kommerziellen Interessen motiviert und gesteuert wird, genauso schnell wieder, wie es auftaucht. Dass es von einem bis dahin verlegerisch völlig unerfahrenen Philosophen initiiert und zu realisieren versucht wird, erhöht auch nicht gerade seine Erfolgsaussichten. Bücherlesen und Bücher­machen ist ein großer Unterschied, musste der junge Möchtegernverleger on the job lernen. Zumal die Edition Passagen eine Nebentätigkeit zu seiner philosophischen Arbeit war und bleiben sollte. Sie sollte ja nur die Bücher im deutschsprachigen Raum zur Verfügung stellen, die er für relevant hielt und dort vermisste. Von einem Projekt, das seine nächsten Jahrzehnte beruflich prägen sollte, war nicht die Rede.

Trotz der verlagsmäßig nicht sehr rosigen Zukunftsaussichten wurde die Edition Passagen aber in jeder Hinsicht ein Erfolg. Das Stichwort ist Freundschaft und das Engagement so Vieler, das die Kompetenzen des Hausgebers ergänzte und seine Mängel ausglich. Zuerst das Engagement des Böhlau Verlegers Peter Rauch und später des Wissenschafts-Springer Verlegers Rudolf Siegle, die die Edition Passagen im ersten Jahr beherbergten. Als Herausgeber der neuen Edition Passagen brachte ich zwar die Idee, das Konzept, die Autoren und Texte mit, aber vom Rest hatte ich keine Ahnung. Im Böhlau Verlag durfte ich in einem Crashkurs die ersten Schritte machen und lernen, wie ein Buch entsteht und was man dann damit macht. Zum Erfolg der Edition Passagen trug sicher auch die innovative Gestaltung der Bücher bei. Zwar hatte ich Namen und Logo in einem spielerischen Prozess gefunden, aber darüber hinaus wusste ich nur, wie unsere Bücher nicht aussehen sollten. Die Kulturjournalistin Alexandra Reininghaus kannte aus ihrer Arbeit die AG Normdesign, ein Kollektiv der jungen Designer Ecke Bonk, Gregor Eichinger und Christian Knechtl. Sie interessierten sich sofort für das Projekt und entwickelten kostenlos das Layout der Reihe und die Logos der einzelnen Bände. Eine wichtige Rolle als Gesprächspartner und Ratgeber spielte auch der damalige Suhrkamp Lektor und wunderbare Übersetzer Horst Brühmann. Auch er kannte das Feld der neuen französischen Philosophen, war aber bei Siegfried Unseld mit seinen Vorschlägen abgeblitzt. Eine Entscheidung, durch die der Suhrkamp Verlag unfreiwillig zu einem der Geburtshelfer der Edition Passagen wurde. Horst Brühmann engagierte sich aber nicht nur mit seinen Branchenkenntnissen und seiner Erfahrung, sondern unterstützte die Geburt der Edition Passagen auch mit einer kostenlosen Übersetzung. Viele Buchhändler und Buchhändlerinnen, viele Journalisten und Journalistinnen waren froh, dass die Edition Passagen die Mauer des Schweigens durchbrochen hatte und mit ihrer Hilfe in kurzer Zeit zu einer großen Bekanntheit gelangen konnte. Ohne die vielen Unterstützer hätte sie in ihrem Kampf David gegen Goliath ihr erstes Jahr bestimmt nicht überlebt. Dafür an dieser Stelle noch einmal den Genannten und den vielen nicht Genannten den größten Dank.

 

Peter Engelmann