In seinem neuen Buch untersucht Jean-Luc Nancy die philosophischen Implikationen der Corona-Pandemie. Das Virus offenbart für ihn den fragilen Zustand unserer Zivilisation, den es zu begreifen und zu denken gilt.
Seit 1945 exportiert Europa seine Kriege. Heute importiert es eine Pandemie, die das gewöhnliche Leben aus den Angeln hebt. Als Folge der Globalisierung entfesselt das Coronavirus einen Automatismus technischer, ökonomischer und politischer Kräfte und markiert dabei die Grenzen der Wachstumsökonomie. Es besteht kein Zweifel: Die Ursachen dieser Gesundheitskrise liegen in unserer Lebensweise, unserem Umgang mit der Natur. Was einst „göttlich“ war, ist menschlich geworden – allzumenschlich, wie Nietzsche sagte. Die Widersprüche und Grenzen unserer Gesellschaft treten unter dem viralen Vergrößerungsglas überdeutlich hervor. Der Tod, den wir gemeinsam mit unseren Kriegen exportierten und bloß noch in Gestalt einiger Krankheiten fürchteten, hat wieder Einzug in unseren Alltag gehalten. Auch diejenigen, die vom Transhumanismus träumen, müssen nun einsehen, dass wir keineswegs übermenschlich, sondern vielmehr allzumenschlich sind.
Materialien
Passagen Streams#1 Die dunkle Seite des Fortschritts
Für den französischen Philosophen Jean-Luc Nancy ist die Corona-Krise eine der Folgen des kapitalistischen Fortschrittsglaubens, der die gesamte Menschheit ins Unglück zu stürzen droht.
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