Zum aktuellen Programm
In Österreich wie in Deutschland verschiebt sich die politische Haltung immer weiter nach rechts. Das zeigt sich nicht nur in besorgniserregenden Umfragewerten rechter Parteien, sondern auch in Kampagnen konservativen Lagern, die mit Leitkultur und Genderverbot auf Stimmenfang gehen und sich geschichtsrevisionistischer Diskurse bedienen, um nationalistische Vorstellungen zu propagieren. Diese Tendenzen sind besonders für jüdische, migrantische und queere Personen gefährlich, die sich zunehmend ausschließender Rhetorik und diskriminierenden Übergriffen ausgesetzt sehen. Der Passagen Verlag engagiert sich seit seiner Gründung für einen offenen kritischen und demokratischen Austausch. Dieser ist besonders dann wichtig, wenn einfache Narrative an die Stelle komplexer und differenzierter Analysen treten. Auch in diesem Herbstprogramm versammeln wir Beiträge, die sich historisch informiert und theoretisch fundiert in aktuelle gesellschaftliche Debatten einbringen.
Als klares Zeichen gegen Antisemitismus eröffnet Wenn Auschwitz negiert wird. Gegen Holocaustleugnung von Donatella Di Cesare unser diesjähriges Herbstprogramm. Die Autorin appelliert daran, den dunkelsten Punkt der Vergangenheit Europas nicht zu vergessen und die Lektionen, die wir daraus gelernt haben sollten, im Hinblick auf die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Blick zu behalten. Dass Negationismen und antisemitische Positionen salonfähig werden, muss unter allen Umständen verhindert werden.
Einen weiterer Schwerpunkt unseres Herbstprogramms liegt auf feministischen Diskursen: Der französische Soziologe Emmanuel Beaubatie beschäftigt sich in seinem Buch mit der Rolle von Transpersonen in der feministischen Bewegung. Einige Feminist:innen plädieren dafür, Transpersonen von feministischen Kämpfen auszuschließen, da sie die Unterwanderung der Bewegung durch biologisch männliche Personen befürchten. Beaubatie verweist auf die Tatsache, dass die meisten Transpersonen selbst weibliche Identitäten erlebt oder durchlaufen haben und zudem ganz ähnlichen gesellschaftlichen Repressionsmechanismen ausgesetzt sind. Anhand der Geschichte des Feminismus zeigt der Autor, dass das feministische Subjekt stets heterogen und wandlungsfähig war. Für ihn gehört die Öffnung für Standpunkte, die zuvor nicht in der Bewegung repräsentiert waren –wie einstmals jene von Lesben, Sexarbeiterinnen oder Schwarzen Frauen –, zur notwendigen Selbstkritik einer politischen Emanzipationsbewegung.
Auch Geoffroy de Lagasnerie nähert sich aus soziologischer Perspektive einer zentralen feministischen Debatte. Seit #metoo ist eine zunehmende Politisierung der Sexualität zu beobachten. Lagasnerie sieht jedoch eine Gefahr darin, die Gewalttaten, die mit #metoo öffentlich geworden sind, in erster Linie als Fälle von sexuellem Fehlverhalten zu betrachten – denn dies birgt die Gefahr einer repressiven Normierung der Sexualität, die insbesondere queere Personen pauschal verurteilen oder sogar kriminalisieren könnte. Statt auf diese Weise einen konservativen Backlash zu befeuern, sollte der Fokus vielmehr auf der Gewalt selbst, dem Machtmissbrauch und ihren strukturellen Ursachen liegen.
Frédéric Gros widmet sich in seinem neuen Buch dem Gefühl der Scham. Scham ist für ihn nicht nur eine persönliche Angelegenheit, kein bloßes Zeichen individueller Verletzlichkeit. Die zahlreichen Ungerechtigkeiten, die wir in der Welt beobachten – obszöne Ungleichheit, Umweltzerstörung, Rassismus usw. –, führen zu einer inneren Akkumulation von Wut, die wir als Scham erleben. Bereits Marx erkannte dies und schrieb der Scham daher eine revolutionäre Kraft zu. Gros stellt in seinem Buch die Frage, wie das politische Potenzial, das in dieser aufgestauten Wut liegt, freigesetzt und produktiv gemacht werden kann – damit die Zustände letztlich nicht nur individuell bedauert, sondern kollektiv verändert werden.
Das Passagen Lektoratsteam